Performing Space - A Modernist Hembygd
An Exploration of Sara Lidman’s Works
DOI:
https://doi.org/10.36368/jns.v8i1.761Keywords:
Sara Lidman, modernism prose, staging of place, oral literature, writer’s autobiography, exploitation, tourismAbstract
Dieser Beitrag über das ‚modernistische Heimatdorf’ in Sara Lidmans Werk bzw. ‚die Heimat des Lidmanschen Werkes im literarischen Modernismus‘ baut auf der Erfahrung eines Aufenthaltes in Missenträsk auf (März 2013). Im Geburtshaus der Dichterin habe ich mich von den konkreten und textlichen Spuren des Ortes leiten lassen, eine Auswahl von Werken gelesen und mich, als deutsche Literaturwissenschaftlerin und Touristin, einem biographischen und atmosphärischen Experiment ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Werkauswahl aus den beiden ersten Romanen (1953, 1955) und dem zweiten Teil der Romanserie Jernbanan (1983–1999) zusammen, die einen starken regionalen Bezug aufweisen. Hinzu kamen einer der sogenannten Afrika-Romane, Jag och min son (1961), und das Protokoll-Buch Gruva (1968), die den dörflichen Horizont zwar klar überschreiten, aber dennoch gemeinsame thematische Komponenten und verwandte erzähltechnische Gestaltungsmittel aufweisen.
Die mehrfache Fokalisierung ist eines der Verfahren Lidmans, die für einen eigenartigen Übergang zwischen der Wahrnehmungsposition von impliziter Erzählinstanz und den jeweils involvierten Figuren sorgt. Auf diese Weise wird das ‚biograpische Interesse‘ der Lesenden immer wieder geweckt, die häufig eine Sprachrohrfigur vorzufinden meinen, aber niemals Klarheit über die jeweilige Parteinahme gewinnen können. Zugleich wird eine geschlechtsspezifische Zuordnung der Perspektiven verunsichert, denn der weiblich und der männlich konnotierte Blick können gleichzeitig zur Anwendung kommen.
Trotz meiner biographischen Neugier, die auf die atmosphärische Wirkung von Missenträsk zurückgeht, liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Analyse auf der sprachlichen Konstruktion des Heimatdorfes. Diese Verankerung in der mündlichen Sprache (als sprachlich erzeugter Ort) weist ebenso deutlich eine eigene Historizität auf wie der regional-, kulturund mediengeschichtliche Wandel Norrlands. Nimmt man eine distanzierte, ethnographische Haltung ein, wie sie Lidman selbst in der Serie Jernbanan nahelegt, ergibt sich eine Neubewertung der Kombinationen von historischen, auch dialektalen sprachlichen Registern: Dieses Verfahren zielt darauf ab, dass die Lesenden im performativen Nachvollzug die Konflikte zwischen den staatlichen Institutionen und Akteuren und den neuen Siedlern in Norrland erfahren können. Diese in der gesprochenen Sprache der Lokalbevölkerung aufgeführten sozialen und psychischen Konflikte hinterlassen Spuren in den Träumen, Gedanken, Dialogen, Lektüren und Texten. Der historische Ort erscheint vornehmlich als ein Konglomerat, das die mündliche Rede von Zeitzeugen hervorgebracht hat.
Die Erzählinstanz nimmt sich der vielstimmigen Figurenrede an und dokumentiert den historischen Sprachgebrauch, unabhängig davon, ob ein realistischer oder phantastischer Code zur Geltung kommt. Häufig taucht das Motiv einer verzerrten Nachahmung auf. Dies kann als programmatischer Hinweis auf eine Ästhetik einer formalen, hier performativen und narrativen Mimesis gedeutet werden, die besonders klar den Nexus von sprachlichen und sozialen Handlungen herausstellt. Sprechen ist Handeln. Das Glossar, das den ländlichen Dialekt und Soziolekt ins Hochschwedische überträgt, unterstreicht ebenfalls das sprachliche Handlungspotential, das unmittelbare soziale und politische Effekte herbeiführen kann. In der Serie Jernbanan werden die stilistischen Kollisionen zugespitzt, wobei lautliche und syntaktische Mittel hinzutreten. Dies ist als prosalyrisches Verfahren gedeutet worden, kann aber auch der nachdrücklichen Betonung der inszenierten mündlichen Rede in ihrem Vollzug dienen.